Geschichte der Basler Guggenmusik – Teil IV

Der «Guggezyschtig»

Nicht erst die heutige Zahl von Guggenmusiken hat bei Fasnachtspuristen – und hier nicht nur bei Pfeifern und Trommlern – immer wieder zu bösen Äusserungen Anlass gegeben. Heftig wurden die Diskussionen pro und contra Guggenmusik um 1960, als immer lauter ihre Teilnahme am Morgenstraich in Frage gestellt wurde. 1962 wurde der Morgenstraich erstmals ohne Guggenmusiken durchgeführt. Im Gegenzug versprachen die Trommler- und Pfeifer-Cliquen, inskünftig am Dienstagabend während einiger Stunden das Gebiet zwischen Marktplatz und Barfüsserplatz nicht musizierend zu betreten. Dann nämlich gehört das Stadtzentrum, namentlich die Plätze und breiteren Strassen, vollständig den Guggenmusiken mit ihren Paraden und Platzkonzerten. Damit haben sie nicht einmal etwas verdrängt, war der Dienstag doch bis vor wenigen Jahren ein eigentlicher Ruhetag im Basler Fasnachtsleben. Das Geschehen beschränkte sich auf den Besuch der Laternenausstellung, auf die Kinderfasnacht und etwas Saalfasnacht.

Dieses Vakuum nutzten nun die Guggenmusiken aus. Ihr «Feldzug gegen die stillbeschauliche Fasnachtsdienstagsruhe» führte erstaunlich rasch zum Erfolg und machte den Dienstag auch zum «Guggezyschtig». Die Anfänge dürften in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückreichen. Es ist nämlich bekannt, dass die schon erwähnte «Jeisy Migger Guggemuusig» jeweils nur am Dienstag in Erscheinung trat. Der Grund war einfach: Die Musik, gegründet und geleitet vom Wirt Emil Jeisi, dem langjährigen Pfeiferchef der Fasnachtsclique «Alti Steinlerner», konnte nur am Dienstag musizieren, weil die Mitglieder am Montag und Mittwoch trommelten und pfiffen.

Vorwiegend Kameraden der Cliquen «Alti Schnooggekerzli» und «Schnooggekerzli» fanden sich in der 1946 gegründeten «46er Guggemuusig» zusammen, die ebenfalls nur am Dienstagabend konzertierte und es noch heute so hält. Die aus prominenten Kreisen, aus Geschäftsleuten und Beamten bis hin zum Obmann des Fasnachts-Comités zusammengewürfelte Guggenmusik hatte in ihren besten Zeiten bis gegen hundert Mitglieder, die alle im «Charivari» (individuelle Kostümierung) und mit eigener Plakette auftraten. In der Mitte des Zuges marschierte eine «Kammerorchester» genannte Gruppe als Melodienbläser mit; es waren zumeist Mitglieder von Jazz- und Unterhaltungsorchestern, aber etwa auch Teile der Knabenmusik oder einer Dorfmusik, die man für diesen Zweck engagierte. Sie waren 1948 die erste Guggenmusik, die neben ihrem Zug durch die Stadt auf dem Marktplatz ein Platzkonzert gaben. Einmal führten sie auch ein Harmonium mit sich, das sie nachher in den Rhein warfen, was ihnen eine Busse von 150 Franken eintrug. Dem Umzug folgte anschliessend im Hotel Drei Könige (seit einigen Jahren in der Safranzunft) der «Guggeball», ein Maskenball mit Wahl der «Jumpfere Gugge» (Maskenprämierung).

Dem Beispiel der «46er Guggemuusig» folgten andere Guggenmusiken, indem sie am Dienstagabend ebenfalls Platzkonzerte gaben. Der Berichterstatter meldet 1950 von Menschenmassen, die von den Darbietungen auf dem Barfüsserplatz nicht genug bekommen konnten. 1952 verfügte die Polizei erstmals eine Innerstadt-Sperrung für den gesamten Fahrverkehr (mit Ausnahme des Trams), und ab 1954 wird auch der Tramverkehr für die Dauer des Konzertes (ab 20.15 Uhr) umgeleitet. Inzwischen konstituierte sich am 19. Februar 1951 die Gugge-IG, die Interessengemeinschaft fasnächtlicher Guggenmusiken, um gemeinsame Interessen der neun damals bestehenden Guggenmusiken besser zu vertreten. Dazu gehörte etwa das Problem der Bettelei von Guggenmusikanten, aber auch das damals bestehende Verbot eines Musizierens in der Stadt nach der Rückkehr vom nachfasnächtlichen Bummel. Letzteres wurde als Diskriminierung gegenüber den Trommler- und Pfeifer-Cliquen aufgefasst. Man organisierte deswegen einen Protestzug mit Trauerflor an den Blasinstrumenten und mit Schlaginstrumenten aller Arten, da ja Trommeln gestattet war. Nachdem den Guggenmusiken später ein «Schränzen» am 1. und 2. Bummelsonntag zugestanden wurde, erlaubte man ihnen ab 1962 das Musizieren auch am 3. und letzten Bummelsonntag.

Die Guggenmusiken brachten es fertig, den Dienstag zu einem vollwertigen dritten Fasnachtstag werden zu lassen. Bereits 1959 wurde bemerkt, dass am Dienstagabend mehr Leute in der Stadt seien als am Montagabend, und 1960 festgehalten, dass am Dienstagabend auffallenderweise auch immer mehr Trommler und Pfeifer «auf die Gasse kommen». Im Jahr darauf befürchtete ein Journalist sogar die Entstehung eines dritten Umzugtages, so «dass wir dann noch ein drittes Mal fünf Stunden lang am Steinebärg d’Bai in Buuch yne stoh mien! Nai! Merci!» Jüngst war der Vorschlag, am Dienstagnachmittag einen Cortege der Guggen zu schaffen, um so die beiden anderen Tage annähernd «guggenfrei» zu halten, wieder in einem Leserbrief zu lesen.

Gescheiterte Innovation

Die Guggenmusiken zeichnen sich durch ihr Bemühen aus, Neues in die Basler Fasnacht einzubringen. Beim „Guggezyschtig“ war die kluge Bereitschaft, ein Platzkonzert als Neuerung zu tolerieren, vorhanden. Ebenso hat niemand etwas einzuwenden gegen ein «Kinder-Guggenkonzert» mit Mini-Cortege, das seit wenigen Jahren von einer Guggenmusik organisiert wird. Als «neie Pflänz» (Flausen), «well’s der gueti Basler steert» (stört), bezeichnete das Fasnachts-Comite den Versuch der Gugge-IG, am Donnerstagmorgen die Fasnacht in ein «Cachot» (Gefängnis) zu sperren. In einer Replik wollte die «Basler Gugge-Zunft von dieser Kritik allerdings nichts wissen, da dieser Fasnachtsabschluss beim Volk gut angekommen sei. Sie laden das Comité ein, sich im nächsten Jahr selber davon zu überzeugen. Trotzdem hören wir später nichts mehr von dieser Art «Fasnachtsbeerdigung».

Quelle: Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde