Musikvereine und «Improvisierte Musiken»
Während man weiterhin nichts gegen eine Beteiligung von Blasmusiken am Nachmittag einzuwenden hatte, wie beispielsweise 1874 gegen eine «40 Köpfe zählende Musik in pruntrutischen Weiberkleidern und kommandiert von einem Kapellmeister als Abbé», so wollte man solche Musiken am Morgenstraich anscheinend nicht mehr dulden: «Etwas Neues war auch das Auftreten einer Blasmusik. Mehrere gute, echte Basler haben uns aufgefordert, gegen die Verwendung von Blasinstrumenten am Morgenstraich zu protestieren, der Morgenstraich sei einzig und allein nur für’s Ruessen und nicht für’s Blasen». Dieser Protest dürfte kaum allgemeinen Beifall gefunden haben: 1884 erfahren wir nämlich, dass das Auftreten einer Blasmusik am Morgenstraich polizeilich gestattet wurde. In der Folge lesen wir in der Presse regelmässig von «Musikbanden» (durchaus nicht abwertend zu verstehen, sondern als Gegensatz zu den grossen Musikgesellschaften) und von «improvisierten Musiken» (auch bezüglich der Instrumentierung?), die am Morgenstraich teilnahmen.
In den Zeitungen jener Jahre ist überhaupt eine grosse Aufgeschlossenheit gegenüber den Blasmusiken festzustellen. Man freute sich über diesen Akzent, der
doch vorwiegend von seriösen, aber
kostümierten Kapellen wie Knabenmusik, Jägermusik, Musikverein Basel, Stadtmusik Konkordia, Musikverein Amicitia, Musikverein
Horburg, Musikverein Vorwärts,
Musikverein Oberwil und Metallharmonie Binningen gesetzt wurde, die je nach ihrem
Sujet als «Maurenmusik», «Basler Zukunfts-Damenkapelle», «Dragoner-Regimentsmusik», «Amazonenkapelle» oder «Sträflingskapelle» daherkamen. 1880 schrieb der Korrespondent vom Montagszug: «Doch was hören wir? Musik! – Ist es möglich, an der Basler Fastnacht noch ein anderes Instrument zu kultivieren als das edle Trommelfell? In recht verdankenswerther Weise hatte die Kommission der Knabenmusik ihre jüngeren Musiker versammelt, und dieselben zogen wohlgeordnet und gut
diszipliniert, ihre
gefälligen
Märsche blasend
und schlagend
auf … ». Im Zusammenhang mit der bis zum heutigen Tag nicht verstummten Diskussion
um die Organisation
der Nachmittagszüge
wird 1883
in einem «Eingesandt» der Vorschlag gemacht, die Tambourengruppen sollten zugunsten der
Musiken zurücktreten. Im darauffolgenden Jahr wird eine «Musikbande», die Ständchen brachte und den Zapfenstreich kopierte, als «gelungene Abwechslung» taxiert, und 1885 hält der Zeitungsschreiber
fest: «Eine neue Fastnachtsleistung scheint immer mehr aufzukommen und
trägt zur Verschönerung bei, nämlich Musikproduktionen
… ». Da kann es dann nicht mehr weiter verwundern, wenn 1887 im «Briefkasten» der Zeitung der Wunsch nach einer Prämierung «humoristischer Musiken» geäussert wurde.
Was damals unter «humoristisch» bereits zu verstehen war, vermögen wir aus heutiger Warte nicht mehr leicht zu deuten. Wohl immer noch ein guter Gag (aber beileibe nicht am Morgenstraich!) wäre die Kombination von fünf Trommeln und einem Waldhorn. Dieses kam 1898 immer dann mit der Melodie «Frühmorgens, wenn die Hähne krähn … » zum Einsatz, wenn die Gruppe eine Stelle in der innern Stadt passierte, wo ein Trommelverbot bestand.
Die ersten Guggenmusiken kommen
Für die Zeit um die Jahrhundertwende darf die Existenz von Guggenmusiken als sicher angenommen werden, wenn wir beispielsweise 1902 vernehmen, dass die «Wasserwerkler Musik» am Mittwochnachmittag «grosse Heiterkeit» erzeugte und im Jahr danach eine «Tiroler Damenkapelle» und weitere «kostümierte Musikabteilungen fleissig ihre lustigen Weisen ertönen liessen». Das Wort «Guggenmusik» begegnet uns das erste Mal 1906 im «Verzeichnis der Fastnachtszüge» neben zehn anderen Musiken: Eine «Guggenmusik» spielte als Sujet die Deutschlandreise der «verkrachten» Stadtmusik Concordia aus. Ob sich hinter der Gruppenbezeichnung «Krachauer» auf derselben Liste eine weitere Guggenmusik versteckt, konnten wir nicht herausfinden». Zum Mittwoch-Morgenstraich wurde übrigens in der Presse gemeldet: «An neuen Zügen traten, so viel wir bemerken konnten, eine originelle Katzenmusik auf und ein nicht minder origineller Mandolinenklubs.
1907 sah der Berichterstatter am Morgenstraich «einen Trupp Bremer Stadtmusikanten, die auf ihren Instrumenten ein Geräusch erzeugten, das ‹Stein erweichen, Menschen rasend machen kann› … ». Vom Montagnachmittag wird dann gemeldet: «Von den einzelnen Wagen, welche durch die Strassen zogen, riefen besondere Heiterkeit hervor die ‹Saharet› der Guggenmusik»; ihr Fasnachtszettel hat sich erhalten. Beim Umzug vom Mittwochnachmittag ist ausserdem von einer «Trost-Clique» die Rede, einem Musikkorps in Trauerkleidung, welche das Fernbleiben der Basler Musikvereine ausspielte, die wegen der offensichtlich nicht über grossen Subvention nicht mitzumachen gewillt waren. Die Clique spielte den Trauermarsch von Chopin «grotesks».
Am Morgenstraich 1908 «lässt eine Blechmusik ihre zum Himmel schreienden Weisen erschallen und kaum fünf Schritte weiter lässt es einem die richtige ‹Tschinnerättemusik› durch Mark und Bein fahren». Zwischen 1911 und 1914 nahm regelmässig die «Alt-Guggenmusik Horburg» an den vom Cormité (gegr. 1910) organisierten und subventionierten Umzügen teil. Diese Guggenmusik setzte sich möglicherweise aus Mitgliedern des Musikvereins Horburg (Industriequartier in Kleinbasel) zusammen. Für 1913 entnehmen wir dem offiziellen Führer des Fasnachts-Comités, dass auch eine weitere Guggenmusik mit dem Sujet «Waggismusik» gemeldet war. An die Beteiligung von Guggenmusiken am Morgenstraich von 1914, dem letzten für mehrere Jahre, kann sich ein alter Fasnächtler noch gut erinnern: «D Melody hesch miesse verroote».
Quelle: Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde